BUNTSPECHT

Buntspecht

An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte

Am 10.11.2023 erscheint das fünfte Album der Wiener Band Buntspecht. »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte« Ist ein flammender Appel für analoge Räume und die Kraft des Kollektivs. Die Popmusik von Buntspecht ist von einer dunkeldüsteren Romantik, einer radikalen wilden Schönheit, einer wahnsinnigen Intensität und künstlerischen Freiheit, die in diesen Tagen ihresgleichen sucht.

 

Der Titel suggeriert einen Zwischenraum, ein Interim, aber in Wahrheit sind Buntspecht mit ihrem fünften Album auf dem bisherigen Gipfel ihrer Kunst angelangt, und nein, wir haben uns hier nicht verschrieben: »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte« ist der völlig korrekte Titel eines Albums, auf dem Buntspecht in Songs wie der zweiten Single »Schlauer Fisch« völlig losgelöst von allen Konventionen die Veredelung ihres mannigfach anarchischen Irrsinns-Sounds in neue, ungeahnte Höhen treiben, indem sie aus der Vielzahl ihrer Einflüsse eine ingeniöse künstlerische Signatur entwickeln.

Dabei war im Grunde alles so wie immer bei dieser Band aus Wien:

»Nichts war bei uns jemals geplant«, sagt Sänger und Gitarrist Lukas Klein, »schon ganz am Anfang war das so: Unser Schlagzeuger Florian Röthel und ich haben zusammen Musik gemacht, die anderen sind mit der Zeit eher zufällig dazu gekommen.« Die formativen Jahre hatten bei Buntspecht eine spielerisch-beiläufige Note, es dauerte eine Weile, bis aus sechs Freunden aus dem Wiener Nachtleben und anderen Zusammenhängen eher beiläufig eine Einheit wurde: »Irgendwann schlug einer vor, ob wir nicht mal ein Konzert spielen sollten,«, sagt Klein, »erst da habe ich gedacht: Okay, dann sind wir jetzt wohl irgendwie eine Band.«

Seitdem ist eine Menge passiert: Bereits 2018 veröffentlichte die Band ihr Albumdebüt »Großteils Kleinigkeiten«, danach erschienen in schneller Folge die Alben »Draußen im Kopf« sowie »Wer jagt mich, wenn ich hungrig bin« (Beide 2019), dann kam Corona – und damit 2021 der überraschende Hit: »Unter den Masken« war ein Song aus dem dritten Album gewesen und irgendwie traf die Band mit der gewaltigen Klavierballade einen Nerv. »Unter den Masken« wurde Abermillionen Mal gestreamt, auf YouTube angeschaut, wurde zum bislang erfolgreichsten Song der Gruppe. 2021 erschien dann bereits das vierte Album, »Spring bevor du fällst«.

Die Gruppe Buntspecht hat also turbulente Jahre hinter sich und nahm sich Anfang 2023 erst mal eine kleine Auszeit nach Monaten durchgehenden Tourens. »Es ist klasse, dass wir so viele Konzerte spielen dürfen, aber dabei bleibt die konzentrierte gemeinschaftliche Auseinandersetzung als Band oft ein bisschen auf der Strecke«, sagt der zweite Buntspecht-Sänger und -Trompeter Florentin Scheicher. »Für uns ist es essenziel, zusammen zu tüfteln, Ideen zu entwickeln, ganz eng und konzentriert in einem Raum zu sein.«

Buntspecht sind eine mitreißende Live-Band, wer sie einmal gesehen hat, wird das nicht wieder vergessen, aber die Basis für ihre orgiastischen Konzerte und überhaupt ihre Kunst ist das absolute Bekenntnis zur Gruppenarbeit auf engstem Raum, diese Musik kann nur entstehend und gedeihen, wenn sie gemeinsam entwickelt wird. Die technischen Möglichkeiten haben in der Musikproduktion in postdigitalen Zeiten eine Vereinzelung gefördert, die effektiv und vor allem kostengünstig sein kann, die Entstehungsgeschichte von »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte« ist hingegen ein flammender Appel für analoge Räume und die Kraft des Kollektivs. Ein Raum, fünf Freunde und ihre Instrumente: Das war für Florian Röthel, den Bassisten Jakob Lang, den Saxofonisten Roman Geßler sowie für Klein, Scheicher und Röthel die wesentliche Maßgabe – der Cellist Lukas Chytka hat die Band verlassen.

So begaben Buntspecht sich nach einer zweimonatigen Pause im März 2023 in ein Airbnb im Burgenland: Raus aus Wien, Tageslicht und Ruhe, es gab keine Türen, keine Wände, alle fünf waren in einem riesigen Raum untergebracht. Hier gab es dann also eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Sie reißen sich die Köpfe ab oder es entsteht etwas richtig Gutes. »Irgendwas ist da passiert, da haben wir was richtig gemacht«, konstatiert Lukas Klein fünf Monate später. Buntspecht haben sich im Burgenland quasi eingesperrt, mit Skizzen, Fragmenten, einzelnen Textzeilen. Jeden Tag haben sie ab zehn Uhr morgens gespielt und anschließend bis in die Nacht die Ergebnisse besprochen. Unterstützt hat sie dabei der Aufnahmeleiter David Piribauer, der als Schlagzeuger mit Solange Knowles und zahlreichen anderen auf Tour war und genau das richtige Gespür für diese Musik mitbrachte.

Alles war möglich, der Himmel war die Grenze und genau dieser freiheitlich-kollektive Geist hat sich nun eingebrannt in »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte«: Beinahe jeder Song auf dem Album macht ein neues Universum auf, weist in eine andere Richtung, aber alle zusammen bilden sie auf nahezu magische Weise eine Einheit, ein homogenes Werk. Immer noch sind in dieser Musik Ahnungen von Jazz, Balkan Beats, Chanson, Blues, Klezmer vorhanden, aber Buntspecht gelingt es hier so gut wie noch nie, aus der Vielzahl ihrer Einflüsse ein stimmiges Ganzes und somit ein zauberhaft schwelgerisches Indie-Kammerpop-Album zu formen, das so klingt wie nichts anderes da draußen gerade.

Das Album beginnt mit einem wehmütigen Klavierintro, das von einem zackigen Tusch abgelöst wird, der gewaltigen Schwung in den Song bringt. Dann kommt die Stimme von Lukas Klein in ihrer ganzen wonnevollen Theatralik: »Die roten Schoten und violetten Tabletten/Sind hier verboten, weil sie viel zu gut schmecken«, singt er, und noch vor dem ersten Refrain des herrlich dramatischen Openers »Hollywood Drama« haben Buntspecht quasi ihr komplettes Arsenal einmal durchgespielt: »Hollywood Drama« ist Jazz, Artrock, Kunstlied in einem und wirkt dennoch zu keinem Zeitpunkt montiert, sondern dramaturgisch mitreißend und majestätisch.

„Alles bricht (Lächerlich)“ ist dann ein betörend swingender, bittersüßer Uptempo-Song über die unerträgliche Leichtigkeit des Seins mit kieksender Kopfstimme, die zweite Single „Schlauer Fisch“ eine balladeske Meditation über die Ohnmacht des Einzelnen. Doch Klein hat eine Menge Zärtlichkeit übrig für das lächerlich-liebenswerte Ringen der Spezies Mensch um Bedeutung, wenn er singt: »Ihr habt uns hier reingesetzt in diese Suppe / Und warft all die Angelhaken aus / Ihr habt uns hier reingesetzt in diese Suppe / Und wir, wir baden sie jetzt aus.«

»Funny Faces« ist ein melancholischer Wahnsinnsbrocken von einem Song und das womöglich beste Lied, das diese Band jemals geschrieben hat. Dramatisch anschwellende Klavierpassagen, im Strudel ertrinkende Bläser, ein nach Luft ringender Florentin Scheicher im ersten Teil, dann eine meditative Leichtigkeit im englischsprachigen Teil des Songs, der nun von Lukas Klein gesungen wird und gen Himmel strebt.

Das während der ersten Sessions zunächst als reine Spaßnummer gedachte »Mojo Risin‘« ist nun ein wunderbarer Pop-Stomper, ein Road-Song mit herrlich knarzigen Space-Rockgitarren und juvenil überschnappender Stimme, in dem Buntspecht sämtliche Fenster aufreißen. Es geht jetzt kopfüber raus in die Welt, der Himmel ist die Grenze: »Mr. Mojo Risin‘ ich hab keinen Führerschein / Ah Mr. Mojo Risin‘ lass mich in dein Auto rein.«

»Oh Boy« erinnert mit seinem luziden Sequenzen beinahe an Pink Floyd, »Intergalactic Mansion« ist eine herrliche wehmutsvolle Sci-Fi-Ballade from outer space, das elegische »Die Hunde bellen« erinnert ein bisschen an den schwelgerischen Indie-Pop von The Walkmen, »Erdgeschoss (Blumen im Haar)« integriert Psychedelik, der berauschende akustische Schlussakkord »Majorelika« war bereits Ende 2022 veröffentlicht worden.

Nicht zuletzt merkt man »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte« die Arbeit am Theater an. In Christina Tscharyiskis Inszenierung von Stefanie Sargnagels »HEIL. Eine energetische Reinigung« am Wiener Rabenhof-Theater agieren Buntspecht als Hausband und Laiendarsteller und ein gewisses theatralisches Element beseelt auch die Musik auf ihrem neuen Album, »Funny Faces« etwa hat die Band in der frühen Form am Rabenhof-Theater entwickelt.

Vor allem ist »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte« aber ganz banal gesprochen das Ergebnis der Freundschaft der fünf Menschen, die Buntspecht sind. »Identität spielt bei uns generell keine so große Rolle, darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht«, sagt Scheicher. »Wir fragen uns nicht, was für eine Art von Band wir sind, dadurch waren wir von Anfang an sehr frei. Wir sind aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen zusammengekommen und diese Mischung an Leuten und die Stimme von Luki sind es letztlich, was uns ausmacht.«

Buntspecht können zwar nächtelang über einzelne Texte diskutieren, mit denen stets alle Mitglieder einverstanden sein müssen, aber eine konzeptuell agierende Band sind sie nicht: Es geht um den Dreck unter den Fingernägeln, die Magie des Moments, die Kraft ihrer künstlerischen Vision.

Die Popmusik von Buntspecht ist von einer dystopischen Romantik, einer radikalen wilden Schönheit, einer wahnsinnigen Intensität sowie von einer Aufrichtigkeit und künstlerischen Freiheit, die in diesen Tagen ihresgleichen sucht. Niemand klingt aktuell wie Buntsprecht auf »An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte«. Sie sind ganz allein da draußen.

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